Blog der alpha Rechtsanwälte – Rechtsanwalt Martin Straube, Fachanwalt für Baurecht & Architektenrecht
Was passiert, wenn eine im Grundstückskaufvertrag zugesicherte Erschließung nicht rechtzeitig erfolgt?
Diese Frage stellt sich im Immobilienrecht und Baurecht regelmäßig – mit teils gravierenden wirtschaftlichen Folgen für private Bauherren, aber ebenso für Projektentwickler. Unsere Kanzlei alpha Rechtsanwälte Fachanwälte PartG mbB hat in einem aktuellen Fall außergerichtlich bei einer verzögerten Erschließung erheblichen Schadensersatz durchgesetzt – und zeigt, worauf Käufer wie auch Entwickler achten sollten, um rechtliche und wirtschaftliche Risiken frühzeitig zu vermeiden.
Grundstückskauf mit Erschließungspflicht – und dreijährige Verzögerung
Unsere Mandanten – ein junges Ehepaar – kauften im Dezember 2020 ein Baugrundstück im Neubaugebiet. Der notarielle Kaufvertrag sah vor, dass die Erschließung (Straßenbau, Kanal, Wasser, Strom und Telekommunikation) spätestens bis zum 31.12.2021 abgeschlossen sein muss, damit das Grundstück anschließend sofort bebaubar ist.
Doch es kam anders: Die Herstellung der Erschließungsanlagen verzögerte sich deutlich – trotz klarer vertraglicher Verpflichtung. Letztlich wurde die Fertigstellung erst für Ende 2024 in Aussicht gestellt. Diese erhebliche Verzögerung hatte weitreichende Folgen – finanzieller und organisatorischer Natur.
Mietkosten, Zinsen und Baupreissteigerungen – das volle Risiko bei den Käufern
Die private und finanzielle Lebensplanung unserer Mandanten war, wie bei den meisten Bauherren, vollständig auf die vertraglichen Zeitvorgaben abgestimmt. So hatten sie:
- ihre Baufinanzierung frühzeitig abgeschlossen,
- den Baubeginn für Anfang 2022 eingeplant,
- den Umzug aus der Mietwohnung für Ende 2022 organisiert.
Durch die nicht vertragsgerechte Erschließung verzögerte sich der Baustart jedoch um volle drei Jahre. Daraus ergaben sich gleich mehrere konkrete Schäden, die sich wirtschaftlich beziffern lassen.
Fortlaufende Mietzahlungen
Weil das Eigenheim nicht bezugsfertig war, mussten unsere Mandanten ihre Mietwohnung weiterhin nutzen und monatlich bezahlen. Diese zusätzlichen Wohnkosten wären bei termingerechter Erschließung vollständig vermeidbar gewesen.
Bereitstellungszinsen für ungenutztes Kapital
Hinzu kam: Die Baufinanzierung wurde noch in der historischen Niedrigzinsphase der Europäischen Zentralbank (EZB) abgeschlossen, mit einem effektiven Zinssatz von unter 1 %. Doch weil das Darlehen nicht rechtzeitig abgerufen werden konnte, fielen stattdessen Bereitstellungszinsen von 3 % jährlich an – über den Zeitraum von drei Jahren. Auch diese Kosten waren durch die verzögerte Erschließung verursacht.
Baupreissteigerungen bei Eigenleistungen
Besonders schwer wog die massive Preisentwicklung im Baugewerbe. Viele Leistungen – etwa Pflasterarbeiten, Gartenanlagen oder Garage – sollten in Eigenregie oder mit kleineren Subunternehmern erfolgen. Doch da der Bau nicht rechtzeitig begonnen werden konnte, mussten Angebote erst 2024 eingeholt werden. Die Preise lagen durchschnittlich 27,6 % höher als noch im Jahr 2021, wie das Statistische Bundesamt im Baupreisindex belegt. Auch diese Mehrkosten lassen sich rechnerisch belegen – und stellen somit einen vollumfänglich ersatzfähigen Schaden dar.
Rechtliche Grundlage: Differenzhypothese des Bundesgerichtshofs
Juristisch stützt sich die Schadensberechnung auf die sogenannte Differenzhypothese, wie sie der Bundesgerichtshof (BGH) seit langem anerkennt. Danach ist zu vergleichen, wie sich das Vermögen der Geschädigten entwickelt hätte, wenn der Vertrag ordnungsgemäß erfüllt worden wäre – im Vergleich zur tatsächlichen Entwicklung infolge der Pflichtverletzung. Auf „Juristisch“: „Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Schaden im Sinne des § 249 Abs. 1 BGB nicht nur, aber gerade dann gegeben, wenn sich bei dem Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die ohne jenes Ereignis eingetreten wäre, ein rechnerisches Minus gibt. (BGH Urteil vom 06.07.2021, VI ZR40/20)„
Im konkreten Fall bedeutet das: Ohne Erschließungsverzögerung wären weder Miete noch Zinslast noch Baukostensteigerungen eingetreten. Folglich ist der Verkäufer ersatzpflichtig, da er die vertraglich geschuldete Leistung – die rechtzeitige Erschließung – nicht erbracht hat.
Durchsetzung ohne Klage – 85.000 € Schadensersatz außergerichtlich realisiert
Unsere Kanzlei alpha Rechtsanwälte Fachanwälte PartG mbB hat für die Mandanten eine umfassende Schadensdokumentation erstellt. Der Gesamtschaden belief sich auf rund 110.000,00 € – belegt durch Mietverträge, Bankunterlagen, Bereitstellungszinsabrechnungen und Bauangebote.
Erfreulicherweise ließ sich der Anspruch schnell außergerichtlich durchsetzen: In einer schriftlichen Vereinbarung verpflichtete sich der Verkäufer zur Zahlung von 85.000 € Schadensersatz. Unsere Mandanten konnten dadurch ihren finanziellen Schaden weitgehend kompensieren – und haben nun den Bau ihres Hauses erfolgreich begonnen.
Was Bauherren, Käufer – und Projektentwickler daraus lernen sollten
Für Bauherren und Käufer:
- Prüfen Sie Erschließungspflichten im Kaufvertrag sehr genau.
- Lassen Sie sich anwaltlich beraten, bevor Sie Finanzierungsverträge abschließen.
- Kalkulieren Sie Verzögerungsrisiken realistisch ein.
- Warten Sie bei Pflichtverletzungen nicht zu lange – dokumentieren Sie Schäden und lassen Sie Ihre Ansprüche prüfen.
Für Projektentwickler:
Nicht nur Käufer, sondern auch Projektentwickler können aus diesem Fall wichtige Rückschlüsse ziehen. Denn: Eine starre Fertigstellungsfrist für die Erschließung ist rechtlich riskant. Stattdessen sollte der Kaufvertrag eine flexible Regelung enthalten – etwa mit einem Rücktrittsrecht für den Entwickler bei behördlichen oder witterungsbedingten Verzögerungen, oder mit Ausschluss bestimmter Haftungstatbestände bei höherer Gewalt.
Denn stellen wir uns vor: Bei einem Projekt mit 50 Grundstücken würden alle Käufer vergleichbare Ansprüche geltend machen – mit durchschnittlich 100.000,00 € Schaden pro Fall. Das ergäbe ein Haftungspotenzial von 5.000.000,00 € – ein Risiko, das für viele Entwickler existenzbedrohend wäre.
Daher gilt: Kaufverträge müssen juristisch so gestaltet sein, dass sie nachvollziehbar, transparent, aber auch risikobegrenzt sind. Wir bei alpha Rechtsanwälte beraten regelmäßig Projektentwickler, Bauträger und Investoren bei der rechtssicheren Vertragsgestaltung – bundesweit und mit einem klaren Fokus auf Immobilienrecht, Baurecht und Grundstücksrecht.
Fazit: Risiken kennen, Verträge gestalten, Ansprüche sichern
Erschließungsverzögerungen sind keine bloßen „Bauverzögerungen“ – sie verursachen echte Vermögensschäden, für die unter bestimmten Voraussetzungen Schadensersatzansprüche bestehen. Entscheidend ist, frühzeitig zu handeln: durch rechtssichere Verträge, transparente Zeitpläne – und anwaltliche Beratung, bevor Probleme eintreten.
alpha Rechtsanwälte Fachanwälte PartG mbB steht Ihnen dabei als spezialisierte Kanzlei zur Seite – kompetent, wirtschaftlich orientiert und durchsetzungsstark.
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Rechtsanwalt Martin Straube, Fachanwalt für Baurecht und Architektenrecht