Kaum ein Bauvorhaben kommt ohne komplexe Lieferketten aus: Fenster, Fertigmodule, Aufzüge, Fassadenelemente oder Beton – vieles wird „hergestellt und geliefert“. Doch ob diese Verträge dem Werkvertragsrecht (§§ 631 ff. BGB) oder dem Kaufrecht (§§ 433 ff. BGB) unterfallen, ist keine bloße juristische Spitzfindigkeit, sondern eine Frage mit erheblichen praktischen und wirtschaftlichen Konsequenzen.
Dabei wirkt sich diese Einordnung in vielen rechtlichen Aspekten aus und beeinflusst das Vertragsverhältnis von der Abnahme bis zur Verjährung. Dieser Beitrag befasst sich mit einem ganz bestimmten Aspekt:
Denn die richtige rechtliche Einordnung entscheidet darüber, ob eine Rügeobliegenheit besteht – und ob sämtliche Gewährleistungsrechte verloren sind. Wer den gelieferten Baustoff nicht rechtzeitig prüft und Mängel nicht „unverzüglich“ anzeigt, riskiert den vollständigen Verlust seiner Ansprüche auf Nacherfüllung, Minderung, Rücktritt oder Schadensersatz.
Warum das Kaufrecht im Baurecht an Bedeutung gewonnen hat
Seit der Schuldrechtsmodernisierung 2002 und der Reform des Bauvertragsrechts 2018 findet sich die entscheidende Vorschrift in § 650 Abs. 1 BGB (vormals § 651 BGB a.F.). Danach gilt:
„Auf einen Vertrag, der die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender beweglicher Sachen zum Gegenstand hat, finden die Vorschriften über den Kauf Anwendung.“
Damit unterliegt die Lieferung sämtlicher herzustellender Baustoffe grundsätzlich dem Kaufrecht. Wer glaubt, sich im Werkvertragsrecht zu bewegen, übersieht leicht, dass für die Lieferung von Baustoffen Kaufrecht gilt – mit der Folge, dass § 377 HGB Anwendung findet.
Abgrenzung: Kaufvertrag oder Werkvertrag?
Ob Kaufrecht oder Werkvertragsrecht gilt, hängt vom Schwerpunkt des Vertrags ab:
Kaufvertrag (§ 433 BGB):
Ein Kaufvertrag liegt vor, wenn der Vertrag im Wesentlichen auf die Lieferung und Übereignung der Baustoffe gerichtet ist. Auch Produkte, die erst auf Bestellung gefertigt werden, fallen hierunter. Klassischer Anwendungsfall: Die Lieferung von Fenstern ohne Einbau.
Kaufvertrag mit Montagepflicht (§ 434 Abs. 4 BGB):
Wenn die Montageleistung nur eine untergeordnete Nebenpflicht ist, liegt ein Kaufvertrag mit Montagepflicht vor. Ein solcher Vertrag kann bei einem Vertrag über die Errichtung einer Solaranlage auf einem Dach gegeben sein.
Werkvertrag (§ 631 BGB):
Ein reiner Werkvertrag liegt hingegen vor, wenn der Vertrag auf die Herstellung eines funktionstauglichen Werkes gerichtet ist, bei dem die Lieferung der Baustoffe nur Nebenleistung ist. Entscheidend sind Art und Wert der Leistung sowie der Leistungszweck. Ein Beispiel ist die individuelle Planung und, Lieferung und Montage eines Treppenliftes.
Werkliefervertrag (§ 650 BGB):
Der sogenannte Werkliefervertrag umfasst die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender beweglicher Sachen, etwa individuell angefertigter Fenster, Türen oder Stahlkonstruktionen. Selbst wenn diese Bauteile später fest in ein Gebäude eingebaut werden und damit zu wesentlichen Bestandteilen werden, bleibt die Lieferung ein Kaufvertrag – solange die Sache im Zeitpunkt der Lieferung beweglich war. Auf die Werklieferverträge sind einzelne Regelungen des Werkvertragsrechts anwendbar, grundsätzlich richten sich diese aber nach dem Recht über Kaufverträge. Damit sind viele Verträge, die auf den ersten Blick wie Werkverträge aussehen, tatsächlich Kaufverträge mit gravierenden Rechtsfolgen.
Die Unterscheidung der Vertragstypen ist dabei häufig gar nicht einfach. In vielen Fällen ist gerade die Einordnung des Vertragstyps Gegenstand eines Rechtsstreits. Ein Dauerbrenner und von der Rechtsprechung immer wieder unterschiedlich nach den Gegebenheiten des jeweiligen Einzelfalls entschieden sind etwa SolaraDas fesnbstnlagen, die auf dem Dach verbaut werden: Häufig handelt es sich trotz der Montagetätigkeit um Kauf- und nicht um Werkverträge.
Die fatale Wirkung der Rügeobliegenheit nach § 377 HGB
Liegt ein Kaufvertrag zwischen zwei Unternehmern vor, gilt § 377 HGB. Dieser besagt:
„Ist der Kauf für beide Teile ein Handelsgeschäft, so hat der Käufer die Ware unverzüglich nach der Ablieferung durch den Verkäufer, soweit dies nach ordnungsmäßigem Geschäftsgange tunlich ist, zu untersuchen und, wenn sich ein Mangel zeigt, dem Verkäufer unverzüglich Anzeige zu machen.
Unterläßt der Käufer die Anzeige, so gilt die Ware als genehmigt, es sei denn, daß es sich um einen Mangel handelt, der bei der Untersuchung nicht erkennbar war.
Zeigt sich später ein solcher Mangel, so muß die Anzeige unverzüglich nach der Entdeckung gemacht werden; anderenfalls gilt die Ware auch in Ansehung dieses Mangels als genehmigt.“
Das bedeutet für Bauunternehmen und Generalunternehmer:
Die Ware muss unverzüglich nach Ablieferung untersucht und gerügt werden. Unterbleibt die rechtzeitige Rüge, gilt die Ware als genehmigt, auch wenn sie tatsächlich mangelhaft ist. Ist ein Mangel erst zu einem späteren Zeitpunkt erkennbar, muss er, sobald er erkennbar ist, unverzüglich gerügt werden – andernfalls gilt die Ware wiederum als genehmigt.
Die Rechtsfolge: Vollständiger Verlust aller Gewährleistungsrechte.
Wer also Baustoffe bezieht, ohne sie sofort zu prüfen und seiner Rügeobliegenheit nachzukommen, verliert unter Umständen jeglichen Regress gegen seinen Lieferanten, auch wenn der Baustoff unbrauchbar ist.
Die Dauer und erforderliche Intensität der Prüfung hängt von der Art der gelieferten Ware ab. Als grobe Richtlinie lässt sich allerdings sagen, dass zumindest eine erste Grobuntersuchung spätestens an dem der Lieferung folgendem Werktag erfolgen sollte. Die Anforderungen an die Untersuchung ergeben sich aus dem Handelsbrauch oder durch eine Interessenabwägung. So kann in einem Fall die oberflächliche Sichtprüfung von Stichproben ausreichend, in einem anderen aber die Durchführung von Laboruntersuchungen notwendig sein.
Die Rügeobliegenheit im Praxisbeispiel
Ein Bauunternehmer bestellt individuell angefertigte Betonplatten, die vor Ort eingebaut werden. Nach Lieferung werden sie nicht sofort geprüft, sondern erst nach Einbau begutachtet – zu spät.
Wenn der Schwerpunkt des Vertrags auf der Lieferung liegt, handelt es sich um einen Kaufvertrag mit Montagepflicht. Unterbleibt die sofortige Prüfung nach Anlieferung, greift § 377 HGB – die Ware ist genehmigt.
Der Unternehmer bleibt auf den Kosten sitzen.
Die VOB/B – kein Schutz bei Kaufverträgen
Viele Bauverträge enthalten pauschal die Vereinbarung der VOB/B – auch bei Materiallieferungen.
Das ist riskant.
Bei einem Kaufvertrag greift die Privilegierung des § 310 Abs. 1 S. 3 BGB nicht. Die VOB/B gilt dann als Allgemeine Geschäftsbedingung und unterliegt der Inhaltskontrolle. Die Folge: Ungünstige Klauseln für den Verwender bleiben bestehen, nachteilige Klauseln für den Vertragspartner sind oft unwirksam.
In diesen Fällen gilt also noch mehr als ohnehin schon: Die Einbeziehung der VOB/B sollte nicht unbedacht erfolgen.
Handlungsempfehlungen für die Baupraxis
- Vertragstyp prüfen:
Ist die Leistung eine Lieferung oder die Herstellung eines funktionalen Werks? Hier gibt es häufig Abgrenzungsschwierigkeiten. Im Zweifel sollte lieber einmal mehr geprüft werden als einmal weniger. Denn eine rechtzeitige Mangelrüge schadet in keinem Fall.
- Rügeobliegenheit beachten:
Gelieferte Baustoffe sofort prüfen und Mängel unverzüglich schriftlich rügen.
- Interne Prozesse etablieren:
Dokumentierte Wareneingangsprüfungen sollten verbindlich geregelt sein.
- Dokumentation sichern:
Nur wer rechtzeitig und nachvollziehbar rügt, behält seine Ansprüche.
Fazit: Die Rügeobliegenheit entscheidet über den Verlust von Mängelrechten
§ 377 HGB ist keine juristische Fußnote, sondern eine der wirtschaftlich folgenreichsten Regelungen im Baurecht. Die sogenannte „Pflicht“ zur Mängelrüge ist in Wahrheit eine rechtliche Obliegenheit – aber eine, deren Nichtbeachtung schwerer wiegt als mancher Vertragsverstoß.
Denn wer als Bauunternehmer oder Architekt auch nur einen Tag zu spät reagiert, verliert unter Umständen sämtliche Rechte.
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Autorin: Karen Faehling, Rechtsanwältin – alpha Rechtsanwälte PartG mbB