Die Urlaubsabgeltung zählt zu den schwierigsten Themen im Arbeitsrecht. Besonders seit mehreren Urteilen des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zum Urlaubsanspruch und Urlaubsverfall hat sich die Rechtslage verschärft. Im Jahr 2025 sind Arbeitgeber gefordert, ihre Prozesse anzupassen, um kostspielige Fehler zu vermeiden.
In diesem Beitrag stellen wir Ihnen die drei wichtigsten BAG-Urteile zur Urlaubsabgeltung vor – inklusive einer Grundsatzentscheidung aus 2023, die jetzt noch relevanter wird.
1. BAG-Urteil: 9 AZR 107/20 – Urlaubsverfall bei Langzeiterkrankung und die 15-Monats-Frist
Kernfrage: Das Arbeitgeber ihre Arbeitnehmer über Urlaubsansprüche und den drohenden Verfall rechtzeitig informieren müssen, wissen wir seit der Entscheidung des BAG vom 19.02.2019 – 9 AZR 423/16. Aber welche Mitwirkungspflichten bestehen bei Langzeiterkrankten?
Sachverhalt:
Ein Arbeitnehmer war ab Januar 2016 bis 2019 dauerhaft krankgeschrieben. Sein Arbeitgeber verweigerte die Abgeltung von 30 Urlaubstagen mit Verweis auf die 15-Monats-Frist.
Entscheidung des BAG:
Das BAG entwickelte eine differenzierte Betrachtungsweise für den Beginn der 15-Monats-Frist bei Langzeiterkrankungen:
- Erkrankung ab Jahresbeginn: Urlaub verfällt nach 15 Monaten – unabhängig von Arbeitgeberpflichten.
- Spätere Erkrankung: Arbeitgeber muss vor dem Verfall über Urlaubsansprüche und deren Ablauf informieren.
- 7-Tage-Regel: Arbeitgeber müssen innerhalb der ersten 7 Werktage eines Jahres ihre Hinweispflichten erfüllen.
Praxis-Tipp für Arbeitgeber:
- Dokumentieren Sie den Krankheitsbeginn Ihrer Mitarbeiter.
- Informieren Sie zum Jahresstart schriftlich über Resturlaub und Urlaubsverfall.
2. BAG-Urteil: 9 AZR 137/24 – Berechnung der Urlaubsabgeltung nach aktuellem Mindestlohn
Kernfrage: Nach welchem Lohn ist die Urlaubsabgeltung zu berechnen – nach dem damaligen oder aktuellen Gehaltsniveau?
Sachverhalt:
Eine Arbeitnehmerin hatte noch Resturlaub aus 2018. Bei ihrer Kündigung 2022 stellte sich die Frage: Berechnung nach dem damaligen Mindestlohn (8,84 €) oder dem aktuellen (9,82 €)?
BAG-Entscheidung:
Es gilt der aktuelle Lohn zum Zeitpunkt der Beendigung.
- Folgen für Arbeitgeber: Alte Urlaubsansprüche werden teurer: Resturlaub aus Vorjahren muss zum aktuellen, meist höheren Gehaltsniveau abgegolten werden. Historische Lohnsätze sind irrelevant.
- Referenzzeitraum ist entscheidend: Die Abgeltungshöhe bemisst sich nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst der letzten 13 Wochen vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses (§ 11 BUrlG). Bei unverschuldeter Arbeitsunfähigkeit (z.B. Krankheit) wird der „gewöhnliche Arbeitsverdienst“ zugrunde gelegt – in diesem Fall der aktuelle Mindestlohn.
3. BAG-Urteil: 9 AZR 104/24 – Kein Verzicht auf gesetzlichen Mindesturlaub
Kernfrage: Ist ein Verzicht auf Mindesturlaub im Aufhebungsvertrag oder Vergleich zulässig?
Sachverhalt:
Ein Arbeitnehmer war im gesamten Jahr 2023 bis zur Beendigung seines Arbeitsverhältnisses am 30. April 2023 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Die Parteien schlossen am 31.03.2023(also noch im bestehenden Arbeitsverhältnis) einen gerichtlichen Vergleich, der eine Kündigung und eine Abfindung regelte. Ziffer 7 des Vergleichs lautete: „Urlaubsansprüche sind in natura gewährt.“ Der Arbeitnehmer hatte jedoch noch 7 Tage gesetzlichen Mindesturlaub aus 2023, den er aufgrund seiner Krankheit nicht mehr antreten konnte, und verlangte dessen Abgeltung.
BAG-Entscheidung:
- Unabdingbarkeit des Mindesturlaubs: Der gesetzliche Mindesturlaub nach dem Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) ist zwingend geschützt (§ 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG). Ein Verzicht oder ein Ausschluss dieses Anspruchs ist vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses absolut unzulässig.
- Gilt auch für Abgeltungsansprüche: Dieses Verbot gilt nicht nur für den Urlaubsanspruch „in natura“, sondern auch für den daraus abgeleiteten finanziellen Abgeltungsanspruch, der erst bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses entsteht. Eine Verzichtsmöglichkeit „im Voraus“ besteht nicht.
- EuGH-Rechtsprechung: Das BAG stützt sich auf Art. 7 der EU-Arbeitszeitrichtlinie. Diese besagt, dass bezahlter Urlaub nur bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses finanziell abgegolten werden darf. Während des Bestehens des Arbeitsverhältnisses ist ein finanzieller Ausgleich (oder ein Verzicht darauf) strikt verboten.
Praxisfolgen:
- Arbeitgeber können nur auf Zusatzurlaub verzichten lassen, nicht auf den gesetzlichen Mindesturlaub.
- Klauseln wie „Alle Urlaubsansprüche sind abgegolten“ sind rechtlich hoch riskant.
Handlungsempfehlungen: So sichern Arbeitgeber ihre Urlaubsregelungen ab
Die aktuelle Rechtsprechung zur Urlaubsabgeltung macht deutlich: Arbeitgeber müssen sorgfältig handeln, um Klagen und hohe Nachzahlungen zu vermeiden.
- Resturlaub richtig abrechnen – immer nach aktuellem Gehalt, nicht nach alten Lohnsätzen.
- Urlaubsverfall korrekt dokumentieren – informieren Sie Arbeitnehmer frühzeitig über ihre Urlaubsansprüche.
- Aufhebungsverträge prüfen – streichen Sie unwirksame Pauschalklauseln.
Juristisch saubere Vergleiche schließen – klar zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und Zusatzurlaub unterscheiden.
Fazit: Urlaubsabgeltung erfordert proaktives Handeln
Die drei jüngeren BAG-Urteile zur Urlaubsabgeltung zeigen:
- Der gesetzliche Mindesturlaub bleibt unantastbar.
- Arbeitgeber tragen die Beweislast für rechtzeitige Hinweise.
- Alte Urlaubsansprüche können teuer werden, da sie nach aktuellem Mindestlohn abzugelten sind.
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Autorin: Nadja Langer – Fachanwältin für Arbeitsrecht