Nun also der Gebäudetyp E. „E“ für einfach und experimentell. Die Bayerische Architektenkammer hat die Initiative gestartet, und führende berufsständische Vereinigungen wie der Bund Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA) unterstützen diese Entwicklung. Gleichzeitig treibt die Politik das Thema sichtbar voran. Die „Gemeinsamen Eckpunkte des Bundesministeriums der Justiz und des Bundesministeriums für Wohnen“ vom 20.11.2025 formulieren das politische Ziel: Baukosten sollen sinken, Standards vereinfacht und Abweichungen von technischen Regeln ausdrücklich zivilrechtlich ermöglicht werden. Wir stellen die Frage, ob sich dieser Ansatz mit einem Rechtssystem verträgt, das seit Jahrzehnten konsequent auf technische Sicherheit, Risikominimierung und weitreichende Aufklärungspflichten setzt. Die folgenden Abschnitte zeigen das daraus entstehende Spannungsverhältnis ist. Architekten müssen sich fachlich wie rechtlich wappnen, wenn sie künftig „E“ planen:
Einerseits verlangt die Rechtsprechung seit Jahrzehnten eine Planung nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik (a.a.R.d.T.) und damit letztlich die Wahl des „sichersten Weges“. Andererseits möchte der Gesetzgeber mit dem neuen Gebäudetyp E genau das Gegenteil erreichen, nämlich mehr Mut, mehr Freiheit, mehr Innovation und zugleich weniger Normendichte.
Kurz gesagt: weniger „Sicherheitsgurt“, aber dafür deutlich mehr „cutting edge“.
Gebäudetyp E als politische Verheißung und zugleich juristische Präzisierung
Die Stellungnahme zum Gebäudetyp E verdeutlicht, dass diese neue Vertragsform im Bürgerlichen Gesetzbuch verankert werden soll. Ziel ist es, Abweichungen vom Üblichen zu ermöglichen, ohne dass sofort ein Mangel im Sinne von § 633 Abs. 2 BGB vorliegt. Dadurch möchte der Gesetzgeber bewusst „Standards nach unten öffnen“. Wir bauen heute bei sehr hohen Qualitäts- und Komfortstandards sowie durch eine Vielzahl technischer Regeln zu kostenintensiv. Künftig sollen einfachere und damit günstigere Standards zugelassen werden. So soll ein Gebäude entstehen können, das zwar gebrauchstauglich ist, aber nicht mehr zwingend dem gegenwärtigen Komfort- und Qualitätsniveau eines Neubaus entsprechen muss. Gelingt das, fragen wir?
Kern des Modells ist der neue Gebäudetyp-E-Vertrag. Er definiert, dass allein die technischen Baubestimmungen der Länder den Mindeststandard festlegen. Diese ergeben sich aus den Landesbauordnungen sowie aus den Verwaltungsvorschriften Technische Baubestimmungen. Das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt) bleibt dabei als technische Behörde für die Zulassung und Bewertung von Bauprodukten und Bauarten zuständig. Abweichungen sollen künftig nicht mehr automatisch als Mangel gelten, sofern sie bauordnungsrechtlich zulässig und gleichwertig sind. Außerdem soll für alle weiteren Inhalte der Planung ein „einfacher Standard“ gelten, der ausdrücklich unterhalb des marktüblichen Niveaus liegen darf. Damit wäre der Auftragnehmer nur noch verpflichtet, die a.a.R.d.T. insoweit einzuhalten, wie diese in den technischen Baubestimmungen der Bundesländer abgebildet sind. Dies stellt tatsächlich einen Paradigmenwechsel dar.
Gleichzeitig führt dieser Ansatz zu weiteren rechtlichen Anforderungen: Der Architekt muss den Bauherrn umfassend über sämtliche Folgen des Gebäudetyps E informieren. Bei Verbrauchern muss dies sogar in Textform geschehen und zudem eine Darstellung der Kostenersparnis enthalten. Wir meinen: Diese vermeintliche „Vereinfachung“ führt in der Praxis zu einer zusätzliche Dokumentations- und Aufklärungslast.
Hinzu kommt eine bedeutende Klarstellung: DIN-Normen sind keine Rechtsnormen und genießen nicht die Vermutungswirkung, allgemein anerkannte Regeln der Technik zu sein. Ausgangspunkt dieser Klarstellung ist sicher die Rechtsprechung des VII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs. Sie stellt einen deutlichen Bruch mit der gelebten Praxis dar, in der DIN-Normen oftmals als Referenz und Bewertungsmaßstab dienen. Der Gebäudetyp E bewegt sich damit erkennbar auf Kollisionskurs zu weiten Teilen der bisherigen Rechtsprechung.
Die Rechtsprechung verlangt weiterhin die sichere Planung
Die Gesetzgebung will neue Freiräume schaffen – die Rechtsprechung betont bis dato die Pflicht zur sicheren Planung. Die Gerichte haben seit über hundert Jahren klargestellt, dass die a.a.R.d.T. im Werkvertragsrecht die Grundlage einer ordnungsgemäßen Planung darstellen. Abweichungen sind nur in engen Ausnahmefällen zulässig und regelmäßig haftungsträchtig. Das Oberlandesgericht Düsseldorf 24.01.2025 (22 U 19/24) bringt das prägnant zum Ausdruck. Ein Mangel liegt bereits in der Abweichung von den a.a.R.d.T., ohne dass ein Schaden erforderlich wäre. Dieses Verständnis bedeutet, dass der Planer selbst dann haftet, wenn das Gebäude funktionstüchtig bleibt und keinerlei sichtbare Schäden entstehen.
Ein weiterer zentraler Punkt betrifft die Risikoaufklärung. Nach dem Oberlandesgericht München (9 U 1501/09) ist ein Haftungsausschluss nur dann möglich, wenn der Bauherr konkret und verständlich über alle Nachteile informiert wird, die aus der abweichenden Ausführung entstehen.
Mit anderen Worten: Der Bauherr muss genau wissen, wovon er wie stark abweicht. Andernfalls haftet der Architekt weiterhin vollumfänglich.
Das Oberlandesgericht Stuttgart (12 U 289/21) bestätigt außerdem, dass ein Mangel bereits dann vorliegt, wenn die Planung fehlerhaft ist, auch wenn das Gebäude später mängelfrei bleibt. Ergänzend zeigt das Oberlandesgericht Hamm (17 U 84/19), wie streng Gerichte dabei vorgehen: Schon das Fehlen einzelner Angaben – beispielsweise zur Rissbreitenbegrenzung – kann einen Planungsfehler darstellen, selbst wenn der Unternehmer später korrigierend eingreift.
Und noch einmal Oberlandesgericht Stuttgart (10 U 38/24): Abweichungen von den a.a.R.d.T. sind nur nach umfassender Risikoaufklärung zulässig sind. Die Rechtsprechung verfolgt damit weiterhin den Grundsatz, dass Innovation im Bauwesen möglich ist, aber stets nur unter Voraussetzung einer klaren und dokumentierten Zustimmung des Bauherrn.
Die Stellungnahme des VII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs
Eine Stellungnahme des VII. Zivilsenats des BGH (wir verlinken, leider nicht öffenltich zugänglich) hat für Aufregung gesorgt: Der BGH unterstreicht die Bedeutung der a.a.R.d.T. als Mindestschutz. Der Bundesgerichtshof betont, dass diese nicht überflüssige Bürokratie darstellen, sondern den grundlegenden technischen Standard sichern, der für eine jahrzehntelange Nutzung erforderlich ist. Innovatives und experimentelles Bauen ist bereits heute möglich, jedoch ausschließlich dann, wenn der reduzierte Standard rechtzeitig vereinbart wird und eine umfassende Aufklärung des Bauherrn stattfindet. Der Gebäudetyp E ist daher kein Freibrief, sondern lediglich eine neue Form der Dokumentation dessen, was ohnehin zivilrechtlich gilt.
Zudem hebt der VII. Zivilsenat hervor, dass Architekten die volle Verantwortung für sämtliche Konsequenzen eines geringeren Standards tragen. Die Beweislast für eine wirksame Aufklärung liegt weiterhin beim Architekten, und der Bauherr muss die Tragweite seiner Entscheidung tatsächlich verstehen. Dadurch bleibt der rechtliche Druck auf den Planer unverändert hoch, selbst wenn das neue Vertragsmodell eingeführt wird.
Das Spannungsverhältnis zwischen sicherstem Weg und Innovation
Hier prallen zwei Welten aufeinander. Die Rechtsprechung setzt weiterhin auf maximale Sicherheit, Risikominimierung und technische Dauerhaftigkeit, während der Gebäudetyp E auf Reduktion, Kostenoptimierung und Innovationsfreiräume abzielt. Die Gerichte orientieren sich am sicheren Weg, die Politik hingegen möchte Freiräume schaffen und Standards neu denken. Für Architekten bedeutet das, dass sie erklären müssen, warum sie bewusst nicht den sichersten Weg wählen, welche Risiken dies beinhaltet und weshalb die gewählte Lösung dennoch funktional sein soll. Zudem müssen Architekten diese Entscheidungen sauber dokumentieren. Und beweisen. Gerichtsfest.
Sofort rückt die Berufshaftpflichtversicherung in den Fokus. Versicherer werden künftige Planungsleistungen unter Berufung auf einen „einfachen Standard“ genau prüfen. Das Schadenpotenzial bleibt objektiv unverändert, lediglich die gesetzliche Einordnung ändert sich. Da der Architekt bewusst (!) von den a.a.R.d.T. abweicht, kann dies aus Sicht vieler Versicherer als vorsätzliches Handeln gelten. Im Schadensfall könnte dies dazu führen, dass der Versicherer die Leistung verweigert. Einige Versicherer haben ihre Pflichtwidrigkeitsklauseln erweitert, andere nicht. Eine Öffnung liegt nur dann vor, wenn der Versicherer trotz bewusster Abweichung leistet und der Bauherr zuvor schriftlich aufgeklärt wurde. Deshalb müssen Architekten Projekte des Gebäudetyps E nur dann übernehmen, wenn der Versicherungsschutz hierzu eindeutig geklärt ist.
Gebäudetyp E ist eine Chance – aber kein Haftungsrabatt
Der Gebäudetyp E kann kostengünstigeres und innovativeres Bauen ermöglichen, doch die Rechtsprechung setzt weiterhin klare Grenzen. Die a.a.R.d.T. bleiben der zentrale Sicherheitsanker, Abweichungen müssen umfassend aufgeklärt werden, und die Beweislast hierfür liegt beim Architekten. Mängel in der Planung können bereits dann bestehen, wenn das Gebäude selbst fehlerfrei ist. Damit präzisiert der Gebäudetyp E im Wesentlichen nur das, was ohnehin zivilrechtlich gilt: Der Bauherr muss wissen, wovon er abweicht und welche Folgen dies hat.
how to Gebäudetyp E: Was Architekten vor der Planung prüfen müssen
Auch wenn der Gebäudetyp E noch nicht gesetzlich eingeführt ist, verlangt die Rechtsprechung schon heute eine sehr umfassende Risikoanalyse, Dokumentation und Aufklärung. Wer nach diesem Modell plant, muss insbesondere erläutern, welche technischen Regeln verlassen werden und welche Nachteile sich daraus ergeben.
Der Architekt muss funktionelle Einschränkungen, Alternativen und deren Mehrkosten sowie die Auswirkungen auf Qualitäts-, Komfort- und Wertstandards beschreiben. Da der Architekt die volle Beweislast trägt, ist eine präzise Dokumentation zwingend erforderlich. Auch bei reduziertem Standard muss die Planung funktionsfähig, dauerhaft und brauchbar sein. Darüber hinaus müssen Langzeitfolgen erläutert, Mindeststandards abgegrenzt und Abweichungen technisch begründet werden. Schließlich ist eine Abstimmung mit der Berufshaftpflichtversicherung unverzichtbar.
Ihre spezialisierten Anwälte für den Gebäudetyp E
Stehen Sie als Architekt, Ingenieur oder Projektentwickler vor der Aufgabe, Gebäudetyp-E-Konzepte rechtssicher zu planen und umzusetzen? Unsere spzialisierten Rechtsanwälte Martin Straube, Karen Faehling und Christian Thiel unterstützen Sie engagiert und hochspezialisiert. Wir beraten Sie umfassend zu Aufklärungspflichten, Vertragsgestaltung, Haftungsrisiken und Versicherungsfragen und begleiten Sie von der ersten Idee bis zur dokumentierten Zustimmung des Bauherrn.
Als erfahrene Kanzlei für Baurecht und Architektenrecht in Erfurt und Gotha stehen wir Ihnen mit klaren, praxiserprobten Lösungen zur Seite. Kontaktieren Sie uns bei alpha Rechtsanwälte Fachanwälte PartG mbB, wenn Sie innovativ bauen und gleichzeitig rechtssicher handeln möchten.
Call: 03621429030
Baurecht bei www.alpha-recht.de
info@alpha-recht.de

