Seit Oktober 2024 gilt die überarbeitete Straßenverkehrsordnung (StVO). Mit ihr versuchte Bundesregierung zentrale Versprechen aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen:
Städte und Gemeinden sollten mehr Handlungsspielräume bekommen, um klimafreundliche, sichere und lebenswerte Verkehrswege zu gestalten.
Besonders im Fokus stehen dabei Radfahrende, Busse und Fußgänger. Aber auch für Anwohner und Kommunen gibt es neue Rechte. In diesem Beitrag skizzieren wir die wichtigsten Änderungen der neuen StVO 2024 im Überblick – verständlich erklärt und mit Blick auf die Praxis.
Neue Ziele im Straßenverkehrsgesetz verankert
Erstmals werden neben der „Flüssigkeit“ und Sicherheit des Verkehrs auch Klimaschutz, Gesundheit und städtebauliche Entwicklung ausdrücklich in den gesetzlichen Zielen genannt.
Die Grundlage dafür liefert § 6 Abs. 4a StVG. Dieser erlaubt es, die StVO so anzupassen, dass Kommunen leichter neue Maßnahmen ergreifen können. Mit § 45 Abs. 1 StVO wurde deshalb eine wichtige Erweiterung geschaffen:
Straßenverkehrsbehörden dürfen nun Maßnahmen zur Unterstützung des Umwelt- und Klimaschutzes, der Gesundheit und einer geordneten städtebaulichen Entwicklung ergreifen – vorausgesetzt, die Sicherheit bleibt gewährleistet.
Radwege und Zonen für Fußgänger: Kein Nachweis der Gefahrenlage mehr nötig
Bislang mussten Kommunen für neue Radwege oder verkehrslenkende Maßnahmen stets eine „besondere örtliche Gefahrenlage“ nachweisen. Das war nicht nur zeitaufwendig, sondern führte oft dazu, dass dringend notwendige Projekte blockiert wurden.
Mit § 45 Abs. 10 StVO fällt dieser Nachweis nun weg. Das bedeutet: Rad- und Fußverkehrsflächen können eingerichtet werden, ohne dass zuvor eine außergewöhnliche Gefährdungslage dokumentiert werden muss.
Das erleichtert vor allem den Ausbau sicherer Radwege und Fußgängerzonen. Statt komplizierter Gutachten reicht eine plausible Begründung, warum die Maßnahme den neuen Zielen dient – etwa mehr Sicherheit, bessere Luftqualität oder eine attraktivere Stadtentwicklung.
Tempo-30-Zonen: Mehr Flexibilität, aber kein flächendeckendes Tempo 30
Ein großer Streitpunkt der letzten Jahre war das Thema „Tempo 30“ innerorts. Auch nach der Reform bleibt klar: Flächendeckendes Tempo 30 ist politisch nicht gewollt und in der StVO weiterhin nicht vorgesehen.
Dennoch gibt es wichtige Neuerungen im Ausnahmenkatalog des § 45 Abs. 9 StVO:
Tempo 30-Zonen können nun leichter eingerichtet werden, auch auf kurzen Abschnitten (bis 500 Meter).
Auch auf überörtlichen Straßen oder Vorfahrtstraßen ist Tempo 30 erlaubt, wenn diese an besonders schützenswerte Einrichtungen grenzen – etwa Schulen, Kitas, Spielplätze, Seniorenheime oder Krankenhäuser.
Damit wird es für Städte einfacher, gezielt sensible Bereiche zu entschleunigen und so die Sicherheit für Kinder, ältere Menschen und Fußgänger zu erhöhen.
Busspuren und Sonderfahrstreifen
Der öffentliche Nahverkehr profitiert ebenfalls von den neuen Regelungen. Verkehrsbehörden dürfen künftig Sonderfahrstreifen für Linienbusse sowie bevorrechtigte Ampelschaltungen leichter einrichten.
Das Ziel: Busse sollen schneller und zuverlässiger ans Ziel kommen – ein klarer Anreiz, vom Auto auf den ÖPNV umzusteigen. Neu ist auch, dass diese auch diese Maßnahmen nicht mehr zwingend auf Gefahrenlagen gestützt werden müssen, sondern auf die neuen Ziele der StVO, etwa den Klimaschutz.
Fußverkehr und Zebrastreifen in der StVO
Der „Fußverkehr“ wurde in der Reform ausdrücklich berücksichtigt. Behörden können Zebrastreifen (Zeichen 350) nun einfacher anordnen.
Bisher war es ein bürokratischer Kraftakt, sichere Querungen einzurichten. Mit der neuen Rechtslage ist klar: Fußgängerüberwege gehören zur Grundausstattung moderner Städte und dürfen auch vorsorglich geschaffen werden.
Anwohnerparken: Vorbeugend möglich
Eine weitere spannende Neuerung betrifft das Anwohnerparken. Bislang mussten Kommunen einen nachgewiesenen Parkraummangel belegen, um Bewohnerparkzonen einzuführen.
Jetzt reicht auch ein städtebaulich-verkehrsplanerisches Konzept – etwa zur Vermeidung von Umweltbelastungen oder zur Steuerung der Quartiersentwicklung.
Für Anwohner bedeutet das: Mehr Chancen auf geregeltes Parken, weniger „Fremdparker“ im Viertel und insgesamt eine gerechtere Verteilung des knappen Parkraums. Dies ist insbesondere in einigen Ballungszentren von erheblicher Bedeutung.
Neue Rechte für Gemeinden in der StVO
Eine „kleine Revolution“ bringt § 45 Abs. 1j StVO: Gemeinden erhalten ein Antragsrecht gegenüber den zuständigen Straßenverkehrsbehörden.
Bisher konnten Kommunen neue Maßnahmen nur „anregen“. Nun haben sie einen Anspruch auf eine begründete Entscheidung – inklusive Klagerecht, falls der Antrag abgelehnt wird.
Das stärkt die Handlungsmöglichkeiten der Gemeinden erheblich und gibt lokalen Initiativen mehr Gewicht. Bürgerinnen und Bürger können also künftig auch über ihre Gemeindevertretung stärker Druck aufbauen, wenn es um Verkehrssicherheit oder Klimaschutz geht.
Was bleibt weiterhin ausgeschlossen?
Trotz aller Neuerungen gibt es auch klare Grenzen:
- Flächendeckendes Tempo 30 bleibt tabu.
- Tiefgreifende Eingriffe ohne Abwägung von Verkehrssicherheit und Notwendigkeit sind nicht möglich.
- Die neue StVO erweitert also die Spielräume, verpflichtet die Behörden aber nicht automatisch zu Maßnahmen. Politischer Druck, Anträge der Gemeinden oder Bürgerinitiativen bleiben entscheidend.
Praktische Umsetzung: Prognosen und Abwägungen
Die Reform ändert nichts daran, dass die Sicherheit des Verkehrs oberste Priorität hat. Jede Maßnahme muss in einer Prognose darlegen, welche Auswirkungen sie auf Verkehrssicherheit, Leichtigkeit und Umweltziele hat.
Das klingt aufwendig, ist in der Praxis aber mit vertretbarem Aufwand lösbar. Es geht nicht um exakte Zahlen zu CO₂-Einsparungen oder Unfallzahlen, sondern um plausible, nachvollziehbare Einschätzungen.
Gerichte haben mehrfach bestätigt: Eine realistische Prognose reicht aus, um Maßnahmen rechtssicher umzusetzen.
Fazit: Die StVO als Schritt in Richtung nachhaltige Mobilität
Die StVO-Novelle 2024 ist kein radikaler Umbruch, aber sie öffnet Türen:
- Rad- und Fußverkehr werden deutlich gestärkt.
- Tempo 30 lässt sich leichter an sensiblen Orten durchsetzen.
- Busspuren und ÖPNV erhalten Vorrang.
- Anwohnerparken wird einfacher.
- Gemeinden haben erstmals ein echtes Antragsrecht.
Damit setzt der Gesetzgeber ein klares Signal: Mehr Sicherheit, mehr Klimaschutz und mehr Lebensqualität im städtischen Raum.
Wie stark die neuen Regeln wirken, hängt nun von den Kommunen und der Zivilgesellschaft ab. Denn umgesetzt wird nur, was vor Ort beantragt, gefordert und politisch gewollt ist.
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Autor: Christian Thiel, Rechtsanwalt & Fachanwalt für Verkehrsrecht – alpha Rechtsanwälte