1. Neubewertung des Bauplanungsrechts
Bau-Turbo 2025, § 246e BauGB: Wir erklären Investoren, Projektentwicklern, Architekten, Stadtplanern und Gemeinden komprimiert Chancen und Risiken des Bau-Turbo. Außerdem: In welchem Verhältnis stehen die neuen Vorschriften des „Bau-Turbo“ – besser: Gesetz zur Beschleunigung des Wohnungsbaus und zur Wohnraumsicherung, hier der Entwurf – zu den Grundprinzipien des Bauplanungsrechts?
Da der Wohnungsbau in Deutschland dringend angeschoben werden muss, reagiert der Gesetzgeber mit dem Bau-Turbo 2025 auf den anhaltenden Stillstand im Wohnungsbau. Das Gesetz zur Beschleunigung des Wohnungsbaus und zur Wohnraumsicherung (Informationen des BMWSB Bund hier) führt neue Regelungen in das Baugesetzbuch (BauGB) ein, die eine erhebliche Abweichung vom herkömmlichen System der Bauleitplanung darstellen. Am 09.10.2025 hat im Bundestag die dritte Lesung stattgefunden und wurde im Bundestag beschlossen; das Gesetz tritt in Kürze mit der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt in Kraft. Im Zentrum steht der neue § 246e BauGB, der als Experimentierklausel ausgestaltet ist und befristet bis zum 31. Dezember 2030 gilt. Er erlaubt die Zulassung von Wohnbauvorhaben auch ohne förmliches Planaufstellungsverfahren, wenn bestimmte Voraussetzungen vorliegen.
2. Der Regelungsgehalt des § 246e BauGB
Die Idee: § 246e BauGB eröffnet Gemeinden die Möglichkeit, von zentralen Vorschriften des Baugesetzbuchs abzuweichen, soweit dies der Schaffung von Wohnraum dient und keine erheblichen Umweltauswirkungen zu erwarten sind. Die Vorschrift erfasst sowohl Neubauten als auch Nutzungsänderungen und Erweiterungen bestehender Gebäude. Damit wird ein planersetzendes Zulassungsverfahren geschaffen, das im Einzelfall eine schnelle Umsetzung von Bauvorhaben erlaubt. Das Verfahren soll ausdrücklich die Dauer der klassischen Bauleitplanung verkürzen und den Gemeinden mehr Handlungsspielraum einräumen.
3. Voraussetzungen der Anwendung
Weil es um die Schaffung von Wohnraum geht, ist § 246e BauGB auf Vorhaben zur Schaffung oder Wiederherstellung von Wohnraum begrenzt. Das Gesetz formuliert für Neubauten, dass diese „Wohnzwecken“ dienen müssen. alpha Rechtsanwälte vertreten die in unserer Beratungspraxis entwickelte und für unsere Mandanten durchgesetzte Auffassung, dass dieser Begriff weit auszulegen ist und z.B. auch Pflegeimmobilien und Seniorenwohngemeinschaften erfasst. Wir begründen das mit § 3 Abs 4 BauNVO.  
Voraussetzung ist, dass die Gemeinde ihre Zustimmung erteilt und keine erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen zu erwarten sind. Darüber hinaus müssen die allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse (§ 1 Abs. 6 Nr. 1 BauGB) sowie der Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen (§ 1 Abs. 6 Nr. 7 BauGB) gewahrt bleiben. Die Zulassung erfolgt daher nicht schrankenlos, sondern die Gemeinde ist gehalten, die Belange eingeschränkt abzuwägen.
4. Bau-Turbo 2025 und § 246e BauGB: Verhältnis zu bestehenden Planungsinstrumenten
Weil das deutsche Bauplanungsrecht als zweistufiges System aus vorbereitender (Flächennutzungsplan) und verbindlicher Bauleitplanung (Bebauungsplan) ausgestaltet ist, schleppen sich Bauleitplanverfahren oft über Jahre. Der Bau-Turbo 2025,  § 246e BauGB durchbricht diesen Grundsatz, indem er Gemeinden gestattet, Vorhaben auch ohne planerische Steuerung zuzulassen. Das ist hochinteressant für Investoren und alle Bauherren.
Damit nähert sich der Weg zur Baugenehmigung der Genehmigungssystematik des § 34 BauGB (unbeplanter Innenbereich) an: also einem einfachen Verfahren zur Erteilung einer Baugenehmigung. Die Regelung geht sogar noch darüber hinaus, da selbst erhebliche Abweichungen von der vorhandenen Bebauung zulässig sein können. Rechtssystematisch handelt es sich um eine Sonderregelung mit Vorrangcharakter, die planungsrechtliche Festsetzungen verdrängen kann.
Spannend ist eine Regelung in § 246e BauGB, die das Bauen auch im Außenbereich ermöglicht, wenn das Vorhaben „im räumlichen Zusammenhang“ zu bestehenden Bebauungsplänen oder zur vorhandenen Bebauung steht. Das kann eine enorme Lockerung der bislang restriktiven Regelungen zum Bauen im Außenbereich bedeuten, wenn die Gemeinden und Planungsämter mutig sind. Und darum geht es beim Bau-Turbo: Mut!
5. Zustimmungserfordernis nach § 36a BauGB
Eng verknüpft mit dem neuen Instrument ist die in § 36a BauGB geregelte Zustimmung der Gemeinde. Im Gegensatz zum bisherigen Einvernehmen nach § 36 BauGB handelt es sich bei der Zustimmung um eine eigenständige, nicht ersetzbare Entscheidungsbefugnis. Die Zustimmung muss innerhalb von nun drei (im Entwurf noch zwei) Monaten erteilt oder versagt werden. Erfolgt keine Entscheidung, gilt sie nach Ablauf der Frist als erteilt (der neue § 36a Abs.1 Satz 4 BauGB verweist auf § 36 Abs.2 BauGB Zustimmungsfiktion). Damit wird die kommunale Planungshoheit gestärkt, zugleich aber die Verantwortung der Gemeinde erheblich erweitert.
6. Bau-Turbo 2025 und § 246e BauGB: Abweichungen und Befreiungen nach §§ 31 und 34 BauGB
Flankierend zur Einführung des § 246e BauGB wurden auch die Regelungen über Befreiungen (§ 31 BauGB) und Abweichungen (§ 34 BauGB) erweitert. § 31 Abs. 3 BauGB ermöglicht künftig Befreiungen von Festsetzungen des Bebauungsplans zugunsten des Wohnungsbaus, wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen. § 34 Abs. 3b BauGB gestattet Abweichungen vom Gebot des Einfügens, sofern das Vorhaben städtebaulich vertretbar ist. Beide Vorschriften sollen die Innenentwicklung erleichtern und ergänzen den Bau-Turbo systematisch.
7. Umweltrechtliche Grenzen und Prüfpflichten
Trotz des Planverzichts bleibt das Umweltrecht uneingeschränkt anwendbar. § 246e BauGB verweist ausdrücklich auf die Voraussetzung, dass keine erheblichen Umweltauswirkungen zu erwarten sind. Damit bleibt insbesondere die Umweltverträglichkeitsprüfung nach den §§ 7 ff. UVPG maßgeblich. Auch artenschutzrechtliche Verbote nach § 44 BNatSchG sind zu beachten. In der Praxis wird daher eine Vorprüfung des Einzelfalls notwendig sein, um die Genehmigungsfähigkeit abzusichern und spätere Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden.
8. Abgrenzung zum § 246 BauGB und zu planungsrechtlichen Sondertatbeständen
§ 246 BauGB enthält bereits seit längerem Sonderregelungen für die Unterbringung von Flüchtlingen, die in bestimmten Fällen einen Planverzicht erlauben. Der neue § 246e BauGB geht darüber hinaus, da er nicht auf eine bestimmte Personengruppe beschränkt ist, sondern allgemein der Wohnraumschaffung dient. Er ist damit als allgemeine Beschleunigungsvorschrift konzipiert. Im Verhältnis zu anderen planungsrechtlichen Sonderregelungen – etwa den §§ 13a, 13b BauGB (§ 13b BauGB verstößt gegen EU-Recht und wurde in seiner Geltung nicht verlängert) (vereinfachte Verfahren) – besitzt § 246e BauGB eine eigene Reichweite und kann parallel angewendet werden.
9. Rechtsschutz und Anfechtungsrisiken
Weil die Zustimmung der Gemeinde eine öffentlich-rechtliche Entscheidung darstellt, ist sie der gerichtlichen Kontrolle unterworfen. Betroffene Dritte, insbesondere Nachbarn, können die Genehmigung anfechten, soweit sie in eigenen Rechten verletzt sind (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Rechtlich problematisch ist die fehlende planerische Abwägung: Ohne Bebauungsplan kann die Rechtmäßigkeit eines Vorhabens allein anhand der Einzelfallentscheidung überprüft werden. Dies könnte zu einer Zunahme von Klagen führen, insbesondere wenn Umwelt- oder Nachbarschutzaspekte unzureichend berücksichtigt wurden. alpha Rechtsanwälte beraten und vertreten Projektentwickler, Architekten, Stadtplaner und auch Gemeinden und Städte, damit Sie sich rechtssicher im Anwendungsfeld des Bauturbo bewegen können. Gerade beratende Architekten sind ihrem Auftraggeber gegenüber verpflichtet, für eine dauerhaft bestandskräftige Baugenehmigung zu sorgen.
10. Kommunale Haftung und Verantwortung
Die Gemeinden tragen im Rahmen des § 246e BauGB ein erhöhtes Haftungsrisiko. Fehlerhafte Zustimmungen oder Genehmigungen können Amtshaftungsansprüche nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG begründen. Zudem besteht das Risiko von Schadensersatzforderungen, wenn aufgrund rechtswidriger Zustimmungen Investoren finanzielle Nachteile erleiden. Die Gemeinde sollte daher vor der Zustimmung eine sorgfältige rechtliche und fachtechnische Prüfung durchführen und die Entscheidung dokumentieren. Städte und Gemeinden können zudem mit Bauherren und Investoren gezielt den Inhalt städtebaulicher Verträge gestalten, um Haftungsrisiken zu minimieren.
11. Bewertung im Lichte der Rechtsprechung
Bereits die bisherige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat betont, dass Befreiungen oder Abweichungen nicht dazu führen dürfen, planbedürftige Spannungen zu erzeugen, die nur durch eine förmliche Bauleitplanung aufzulösen sind (BVerwG, Urt. v. 2. Februar 2012 – 4 C 14.10). Ob der § 246e BauGB mit dieser Linie vereinbar ist, wird sich erst zeigen. Entscheidend wird sein, wie weit Gerichte den kommunalen Entscheidungsspielraum akzeptieren, ohne die planerische Steuerungsfunktion des BauGB zu unterlaufen.
12. Ausblick und Fazit
Fest steht: Der Bau-Turbo 2025 und § 246e BauGB sind ein Paradigmenwechsel im deutschen Bauplanungsrecht. Er bietet Gemeinden und Investoren neue Handlungsmöglichkeiten, verlangt jedoch ein hohes Maß an rechtlicher Sorgfalt. Ob das Ziel einer echten Beschleunigung erreicht wird, hängt von der praktischen Umsetzung ab. Wird die Vorschrift zu großzügig angewendet, drohen Rechtsunsicherheiten und Anfechtungen. Wird sie zu restriktiv gehandhabt, verpufft der beabsichtigte Beschleunigungseffekt. Der Bau-Turbo kann nur dann erfolgreich sein, wenn er rechtssicher, transparent und verantwortungsbewusst umgesetzt wird.
Sprechen Sie uns an. Unsere Fachanwälte und Rechtsanwälte Martin Straube, Karen Faehling und Christian Thiel beraten Projektentwickler, Architekten, Bauträger und Städte und Gemeinden bei der rechtssicheren Anwendung des § 246e BauGB sowie bei allen Fragen rund um das Bauplanungsrecht.
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