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Zwischen Worthülse und Wahrheit: Warum wir keine Schriftsatz-Poesie betreiben

Manche Schriftsätze lesen sich wie eine Mischung aus verstaubtem Jurastil und formelhafter Textproduktion – ohne Inhalt, ohne Poesie. Statt Substanz gibt’s Satzbausteine, statt Argumentation Phrasendrescherei. Und mittendrin: der geneigte Leser, der sich fragt, ob das wirklich ernst gemeint ist oder ob der Schriftsatz nur künstlich aufgeblasen werden soll. Wir stehen zu einem anderen Ansatz: Klartext ... Weiterlesen

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Manche Schriftsätze lesen sich wie eine Mischung aus verstaubtem Jurastil und formelhafter Textproduktion – ohne Inhalt, ohne Poesie. Statt Substanz gibt’s Satzbausteine, statt Argumentation Phrasendrescherei. Und mittendrin: der geneigte Leser, der sich fragt, ob das wirklich ernst gemeint ist oder ob der Schriftsatz nur künstlich aufgeblasen werden soll.

Wir stehen zu einem anderen Ansatz: Klartext statt Konstrukte. Substanz statt Sprachakrobatik. Fokus statt Floskeln. Und weil wir den juristischen Alltag mit einem gewissen Augenzwinkern nehmen, haben wir ein kleines Floskel-Bullshit-Bingo zusammengestellt.

„Es wird alles bestritten, was nicht ausdrücklich zugestanden ist.“

Klassiker. Steht fast immer irgendwo am Ende des Schriftsatzes, kurz vor der Unterschrift – als pauschale Lebensversicherung gegen Nachlässigkeit im Vortrag. Leider ohne jeden Mehrwert – ein Satz fürs gute Gefühl, nicht für die Sachentscheidung.
Denn wie wir wissen (und wie die Rechtsprechung immer wieder betont): Substantiierung schlägt Pauschalität. Und wer nichts Konkretes zu sagen hat, sollte es vielleicht einfach lassen.

„Daher ist Klage geboten.“

Ach ja, diese dramatische Schlussformel, als stünde nicht eine zivilprozessuale Anspruchsprüfung dahinter, sondern ein schicksalhaftes Naturgesetz.
Wir fragen uns hier gerne, ob die Kollegen wohl auch Klagen erheben, die nicht geboten sind?
Wir halten es lieber mit nachvollziehbaren Begründungen. Ohne Pathos. Und ohne Drama.

„Es wird höflich um einen richterlichen Hinweis gebeten.“

Zugegeben – Hinweise sind wichtig. Aber das halb-formelhafte „Hinweis-Erbetteln“ in jedem Schriftsatz, ganz unabhängig vom Verfahrensstand, wirkt dann doch etwas… routiniert.
So, als würde man auf gut Glück hoffen, dass das Gericht schon irgendwie das eigene Beweisproblem lösen möge. Und einem die Arbeit abnehmen möge, sich selbst Gedanken dazu zu machen, wie die Darlegungs- und Beweislast denn verteilt ist. Wenn das Gericht den Anwälten vorgeben soll, was sie vorzutragen haben: Soll der Befangenheitsantrag direkt mit übermittelt werden?
Unser Ansatz: Wir prüfen selber die prozessuale und materiell-rechtliche Position. Dafür haben wir studiert, dafür werden wir bezahlt.

„Der Unterfertigte…“

Wer ist das? Ein mysteriöser Dritter? Ein geheimer Geheimbund der Schriftsatzverfasser?
Wir schreiben einfach: Ich – oder: wir als Prozessbevollmächtigte.
Denn: Wer klar denkt, darf auch klar schreiben. Und wer sich selbst nicht in der dritten Person nennt, klingt gleich deutlich weniger wie ein Echo aus einem verstaubten Aktenzimmer.

„Es kommt darauf an.“

Vermutlich der bekannteste Juristensatz überhaupt. Und ja – juristisch gesehen stimmt er oft.
Aber: Gerade unsere Aufgabe als Anwälte ist es, eben nicht nur mit den Schultern zu zucken, sondern die entscheidenden Informationen zu beschaffen, rechtlich einzuordnen und daraus eine klare Empfehlung abzuleiten.

„Es kommt darauf an“ ist kein Ergebnis. Es ist der Anfang der Arbeit.
Wer darauf stehen bleibt, gibt Verantwortung ab. Wir nehmen sie an.

„Antragsgemäß ist zu entscheiden.“

Warum eigentlich diese Floskel?
Wenn ich einen Antrag stelle, gehe ich doch davon aus, dass genau so entschieden wird – sonst hätte ich ihn ja nicht gestellt.
„Antragsgemäß“ ist also eine Binsenweisheit, die weder Mehrwert bringt noch den Entscheidungsprozess beeinflusst.

„Weiterer Sachvortrag bleibt einer substantiierten Klageerwiderung der Beklagten vorbehalten.“

Klingt wichtig, ist aber meistens nur ein Platzhalter ohne echten Inhalt.
Was soll dieser Satz eigentlich aussagen? Dass man sich den Rest fürs nächste Mal aufhebt? Klar – das ist legitim. Aber als Argument taugt er nicht.

Kurz gesagt: Ohne konkreten Vortrag bleibt’s leeres Gerede. Wir setzen lieber auf klare, vollständige Darstellungen.

„Es dürfte also ihrem vitalen Interesse entsprechen, die Angelegenheit durch unverzügliche Zahlung zu regeln.“

Dieser Satz klingt, als würde der Anwalt plötzlich zum Berater der Gegenseite: „Tu dir was Gutes und zahl schnell!“
Dabei geht es natürlich nicht um das Wohl des Gegners, sondern um die Interessen des eigenen Mandanten – also ums Geld.

Klartext: Wer wirklich was will, muss das auch sagen – und nicht so tun, als ginge es hier um einen Gefallen für die Gegenseite.

„Beweis für das gesamte Parteivorbringen: Zeugnis d. XY“

Klingt erst mal beeindruckend, so ein Generalzeuge. Das „Zeugnis des XY“ als Beweis für alles. Für jeden Vortrag. Jeden Streitpunkt. Jedes Detail. Die Formel ist tatsächlich ein Offenbarungseid: Sie sagt nicht „Wir haben einen starken Zeugen“, sondern eher „Wir wissen auch nicht so genau, was bewiesen werden soll – aber XY wird’s schon richten“.

Unser Vorschlag: Lieber konkret bleiben. Was hat der Zeuge wann gesehen oder gehört? Und was genau soll er belegen? Wer es schafft, das sauber zu formulieren, braucht keine Wundertüte namens „gesamtes Parteivorbringen“.

„Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen“ & „Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.“

Diese Anträge sind in der Praxis so verbreitet wie unnötig – denn auch in streitigen und schwierigen Fällen entscheidet das Gericht über Kosten und Vollstreckbarkeit von Amts wegen.

Das heißt: Die Anträge selbst haben keinen inhaltlichen Mehrwert.

Wir finden: Solche Standardformeln sind überflüssig. Besser ist es, sich auf echte, relevante Argumente zu konzentrieren – statt den Schriftsatz mit Anträgen zu füllen, wenn das Gericht auch ohne diese entscheidet.

Weitere Blüten der Juristensprache

Nicht nur Phrasen dreschen, auch weitere Unfälle in der deutschen Sprache sind unter Juristen verbreitet:

Passivsätze, soweit das Auge reicht

„Es wird beantragt, dass…“
„Es wird darauf hingewiesen, dass…“
„Es wird vorgetragen, dass…“

Das Problem: Passiv klingt nach Distanz. Nach „Ich war’s nicht“.
Aber im Zivilprozess geht’s ums Gegenteil: Zupacken. Konkret werden. Verantwortung übernehmen.

Konjunktivitis: würde, könnte, sollte, gegebenenfalls, eigentlich…

Der Schriftsatz als Möglichkeitsform – willkommen in der Welt der juristischen Unverbindlichkeit!
Wenn alles nur gegebenenfalls möglich wäre, vielleicht zutreffen könnte, eigentlich nicht ausgeschlossen wäre und unter Umständen zu prüfen wäre, dann entsteht am Ende genau: nichts.

Der Konjunktiv ist grammatikalisch erlaubt, aber rhetorisch eine Flucht aus der Verantwortung.
Wir sagen, was ist. Was wir wissen. Und was wir beweisen können. Nicht, was eventuell hypothetisch sein könnte, wenn die Welt ein bisschen anders wäre.

Der Schachtelsatz-Marathon

Manche Schriftsätze kommen mit Sätzen, die so lang sind, dass man sie erst beim dritten Lesen versteht – oder manchmal gar nicht.
Da wird ein einfacher Gedanke durch Aneinanderreihung von Nebensätzen, Einschüben und Parenthesen zu einem bürokratischen Hindernisparcours.

Wir sagen: Klarheit ist kein Verbrechen.
Kurze, präzise Sätze bringen das Wesentliche auf den Punkt – und ersparen allen Beteiligten unnötige Knoten im Kopf.

Autorin: Karen Faehling, Rechtsanwältin – alpha Rechtsanwälte PartG mbB

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